Mobilität von Lehramtsstudierenden und Maßnahmen zur Rekrutierung von Nachwuchslehrkräften für Sachsens Landkreise
Der Lehrkräftemangel ist in Sachsen längst im Alltag von Kollegien, Schülerschaft, Eltern sowie Schulpolitik und Bildungsverwaltung angelangt. Die Zahl der Absolventinnen und Absolventen in den Lehramtsstudiengängen der Hochschulen in Leipzig, Dresden und Chemnitz reicht nicht aus, um diejenigen Lehrpersonen zu ersetzen, die aktuell und in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. Der Lehrkräftemangel ist in den verschiedenen Schularten und Unterrichtsfächern unterschiedlich ausgeprägt, und auch auf die Regionen im Freistaat ungleich verteilt. So ist es deutlich einfacher, Lehrpersonen für die Großstädte Dresden und Leipzig und ihr Umland zu finden, als für die ländlichen und peripheren Gebiete des Freistaates.
Studien des Zentrums für Lehrerbildung, Schul- und Berufsbildungsforschung (ZLSB) der TU Dresden verdeutlichen, das es sich bei der Rekrutierung von Lehrkräften für ländliche Regionen um eine echte Herausforderung handelt. Die empirischen Befunde zeigen aber auch Ansatzpunkte für Maßnahmen auf, die bereits vor und während des Studiums dazu beitragen können, ausreichend Personal für die Lehrertätigkeit an ländlichen Schulstandorten zu gewinnen. Das ZLSB befragt an der TU Dresden regelmäßig Studierende im ersten Semester der Lehramtsstudiengänge nach ihrer geografischen Herkunft sowie nach ihren Vorstellungen darüber, wo sie nach Beendigung der Ausbildung als Lehrperson arbeiten möchten. Die Ergebnisse zeigen zunächst eine ausgeprägte Tendenz zu einem heimatortnahen Studium. Jahr für Jahr hatten etwa zwei Drittel derjenigen, die ein Lehramtsstudium an der TU Dresden aufnehmen, ihre Hochschulzugangsberechtigung in Sachsen erworben (siehe Abbildung 1).
Abb.1: Geografische Herkunft der Lehramtsstudierenden: Bundesland (n=451)
Daten: Befragung der Studienanfängerinnen und -anfänger in allen Lehramtsstudiengängen der TU Dresden im Wintersemester 2015/16, Teilnahmequote: 64%
Dieser Trend zur Heimatnähe zeigt sich auch innerhalb Sachsens: besonders viele Studierende der TU Dresden kommen aus Dresden und dem ostsächsischen Raum (siehe Abbildung 2).
Abb.2: Geografische Herkunft der Studierenden: Landkreis (Sachsen, n=279)
Die aus anderen Bundesländern zugewanderten Studierenden verlassen Sachsen nicht zwangsläufig nach Abschluss ihrer Ausbildung. Eine große Mehrheit dieser Studierenden kann sich einen dauerhaften Verbleib im Freistaat durchaus vorstellen. Gleichzeitig besteht bei vielen sächsischen Studierenden grundsätzlich die Bereitschaft, nach dem Studium in einem anderen Bundesland tätig zu werden (siehe Abbildung 3). Es gilt daher, die Studierenden sowie Absolventinnen und Absolventen durch attraktive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie zügige und transparente Zulassungs- und Einstellungsverfahren für den Vorbereitungsdienst und den Berufseinstieg in Sachsen zu halten.
Abb. 3: Abwanderung aus Sachsen nach dem Studium, je nach geografischer Herkunft (Bundesland, n=279/135)
Bei vielen Studierenden ist offenbar trotz bekannter Nachteile bei der Bezahlung und trotz der fehlenden Aussicht auf Verbeamtung die Bereitschaft für eine Berufsausübung in Sachsen vorhanden. Dies gilt allerdings nicht für alle Teile des Freistaats gleichermaßen.
Fragt man Studienanfängerinnen und -anfänger danach, wo sie während ihres Berufslebens am liebsten wohnen möchten, so zeigt sich eine verbreitete Präferenz für die Großstädte und ihr Umland. Ein Leben im ländlichen Raum (Kleinstädte und Dörfer) kann sich nur gut ein Viertel der Studierenden vorstellen (siehe Abbildung 4).
Abb. 4: Bevorzugter Wohnort während der Berufstätigkeit (n=314)
Es überrascht daher nicht, dass bei einer Abfrage der bevorzugten Landkreise und Städte für eine künftige Berufsausübung nur wenige Nennungen auf periphere Landkreise wie den Landkreis Görlitz, den Erzgebirgskreis oder den Vogtlandkreis entfallen. Stattdessen kann sich eine große Mehrheit der Dresdner Studierenden vorstellen, nach dem Studium in Dresden zu arbeiten. Auch Leipzig als zweite sächsische Metropole erscheint vielen Studierenden attraktiv, wogegen Chemnitz, ebenfalls Großstadt, keine große Anziehungskraft zu haben scheint (siehe Abbildung 5).
Betrachtet man diejenigen Studierenden näher, die sich eine Berufstätigkeit in einem der großstadtfernen Landkreise vorstellen können, dann handelt es sich dabei typischerweise um Personen, die aus diesen Landkreisen stammen und zu einer Berufstätigkeit in ihrer Herkunftsregion tendieren. Die Bereitschaft für eine Berufstätigkeit in ländlichen Regionen ist in diesen Fällen offenbar auf bestimmte Landkreise oder gar konkrete Schulstandorte beschränkt.
Abb. 5: Bevorzugte Städte und Landkreise für die Berufsausübung: „In welchen Städten oder Landkreisen können Sie sich vorstellen, zu arbeiten?“ (max. 4 Nennungen, Angaben in Prozent, n=372)
Während ihres Studiums haben die angehenden Lehrerinnen und Lehrer in mehreren schulischen Praktika die Möglichkeit, Schulstandorte in verschiedenen Regionen kennenzulernen. Während die semesterbegleitenden „Schulpraktischen Übungen“ aus logistischen Gründen in und um Dresden stattfinden, sind die Studierenden gehalten, die drei mehrwöchigen Blockpraktika an entfernteren Schulen zu absolvieren. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass der Mobilität der Studierenden, unter anderem durch die entstehenden Kosten für Anreise und Unterkunft, Grenzen gesetzt sind und Praktikumsplätze in relativer Nähe bzw. mit guter Verkehrsverbindung zu den Universitätsstandorten besonders stark nachgerafragt sind.
Mit Blick auf die geschilderten empirischen Befunde lassen sich zwei unterschiedliche Zielgruppen für Maßnahmen beschreiben, die zur Gewinnung von Lehrkräften für ländliche Regionen beitragen sollen. Zum einen gilt es, Studienberechtigte, die aus solchen Bedarfsregionen stammen, für das Lehramtsstudium zu gewinnen und während des Studiums die Bindungen zur Herkunftsregion aufrecht zu erhalten. Zum anderen sind Maßnahmen vonnöten, die dazu beitragen, bei angehenden Lehrpersonen bestehende Vorbehalte gegenüber ländlichen Schulstandorten abzubauen.
Um Studierende aus Gegenden mit besonders großem Lehrkräftemangel für ein Lehramtsstudium zu gewinnen, ist die TU Dresden bei Informationsveranstaltungen (z.B. Bildungsmessen) in den Landkreisen vertreten und arbeitet hierbei eng mit dem Kultusministerium und der Sächsischen Bildungsagentur zusammen. Weitere Anstrengungen und Initiativen, um Abiturienten und Studieninteressierten aus den Bedarfsregionen ein Lehramtsstudium nahezubringen, sind sicherlich vonnöten.
Während des Studiums gilt es dann, Bindungen in die Herkunftsregionen zu erhalten und zu stärken. Seit 2015 wird zur Gewinnung von Lehrkräften für die ländlichen Regionen das Sachsenstipendium ausgelobt. Finanziert von der Staatsregierung, koordiniert von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und unterstützt von den sächsischen Universitäten, erhalten derzeit 50 Studierende, die sich bereit erklärten, nach Abschluss der Ausbildung für eine bestimmte Zeit in einer Bedarfsregion zu unterrichten, eine finanzielle Unterstützung und besondere individuelle Betreuungsangebote während des Studiums. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass sich für das Stipendium vor allem Studierende bewerben, die ohnehin eine Berufstätigkeit in ihrer Heimatregion anstreben. Man könnte daher von Mitnahmeeffekten sprechen und kritisieren, dass auf diese Weise keine Lehrkräfte für die Landkreise gewonnen wurden, die nicht ohnehin dorthin gekommen wären. Wenn man also mit dem Sachsenstipendium möglicherweise nicht in großem Umfang neue potenzielle „Landlehrer“ gewinnt, so werden doch interessierte Studierende durch das Stipendium frühzeitig an die Bedarfsregionen gebunden und haben die Möglichkeit, Netzwerke in der jeweiligen Region aufzubauen.
Auch außerhalb des Sachsenstipendiums gibt es Möglichkeiten, den Studierenden die Lehrertätigkeit an Schulen in ländlichen Regionen näher zu bringen. Im Falle von Studierenden, die einer Berufstätigkeit in einer Bedarfsregionen bereits zugeneigt sind, und die im Rahmen von Praktika bereits gute Erfahrungen an bestimmten Schulen machen, kann eine verbindlichere Perspektive vorteilhaft sein, den Vorbereitungsdienst an derselben Schule absolvieren zu können und anschließend eine Stelle zu erhalten. Solche Ausbildungsketten sind zwar prinzipiell bereits möglich. Es entscheidet sich für die Beteiligten jedoch erst spät, ob sie tatsächlich realisiert werden. Eine höhere Verbindlichkeit solcher Pfade würde auch für die einzelnen Schulen den Anreiz erhöhen, sich intensiv um geeignete angehende Lehrpersonen zu bemühen.
Bei der Mehrheit der Studierenden, die sich eine Berufsausübung in urbanem Umfeld wünschen, gilt es zunächst einmal, Vorbehalte gegenüber Schulen auf dem Land abzubauen und Überzeugungsarbeit zu leisten, in dem die Attraktivität ländlicher Schulstandorte verdeutlicht wird. Das geschieht Erfahrungsberichten zufolge offenbar am einfachsten direkt vor Ort, wenn Studierende in Praktika beispielsweise kleine Klassenstärken oder ein ruhiges Schulklima erleben und möglicherweise auch von den Vorzügen eines klein- oder mittelstädtischen Lebensumfeldes überzeugt werden. Viele ländliche Schulstandorte wissen offenbar mit ihrer Attraktivität zu überzeugen. Es müssen daher nach Möglichkeit Hürden abgebaut werden, die dem Absolvieren von Schulpraktika abseits der Universitätsstädte entgegenstehen. Das sind nicht zuletzt monetäre und logistische Hürden, wie die Organisation und Finanzierung von Anreise und Unterkunft.
Der Ansatz, bereits während des Studiums Berührungspunkte zwischen Studierenden und den Bedarfsregionen zu schaffen, wird auch im Projekt „Synergetische Lehrerbildung im exzellenten Rahmen“ (TUD-Sylber) verfolgt. Im Rahmen dieses breit angelegten Maßnahmenpakets der TU Dresden, das als Teil der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, wird vor allem die Kooperation mit außerschulischen Lernorten wie Museen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen intensiviert. In fachdidaktischen Lehrveranstaltungen widmen sich die Studierenden Konzepten außerschulischen Lernens und lernen dabei Bildungsorte in den sächsischen Landkreisen kennen.
Wie vor allem das Auflegen des Sachsenstipendiums zeigte, hat sich in Sachsen die Einsicht durchgesetzt, dass gezielte Maßnahmen und Investitionen nötig sind, um den Lehrkräftebedarf vor allem in den ländlichen Regionen zu decken. Darin stimmen Bildungspolitik, Bildungsadministration, Universitäten, Schulen und die betroffenen Kreise und Kommunen offenkundig überein. Das Sachsenstipendium wird daher sicher nicht die letzte Maßnahme zur Rekrutierung von Lehrkräften in ländlichen Regionen bleiben.
Klar ist allerdings auch, dass solche Maßnahmen die Probleme bei der Gewinnung bedarfsgerechten Lehrkräftenachwuchses nicht allein lösen können.
Kurzfristig kann auf den Einsatz von Seiten- und Quereinsteigenden nicht verzichtet werden. Umso wichtiger ist es, diese Berufswechslerinnen und Berufswechsler in möglichst knappen Zeiträumen möglichst gut auf ihren neuen Beruf vorzubereiten. Mit dem QUER-Programm wurde dazu an der TU Dresden bereits 2013/14 ein Modell erprobt. Derzeit finden Weiterbildungsformate für Seiteneinsteigende ins Lehramt an Grundschulen an den Universitäten in Leipzig und Dresden Anwendung.
Auch in der grundständigen Lehrerbildung sind weitere Überlegungen notwendig, wie ausreichend geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für die richtigen Fächer, Schularten und Regionen gewonnen werden, und wie diese nach dem Studium für den Schuldienst in Sachsen gehalten werden können. Ob die finanzielle Anreizsituation attraktiv genug ist, bleibt fraglich. Möglicherweise ist die Angleichung von Löhnen in den unterschiedlichen Schularten nur der erste Schritt, zumal die Nachbarbundesländer mit finanziellen Anreizen locken.