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Brief an den Weihnachtsmann

Lieber, guter Weihnachtsmann,

wenn ich nach Wünschen gefragt werde, antworte ich immer „den Weltfrieden“, aber das weißt du ja. Ich habe dir ich noch nie geschrieben und doch schreib ich dir jetzt, nicht in der Hoffnung, dass alles, was ich mir wünsche, erfüllt werden kann. Allerdings hoffe ich, dass an den richtigen Stellen ein Nachdenken einsetzt. Oder mit anderen Worten: „Wie kommen wir von der Wissens- in die Dissensgesellschaft?“ Also vom bloßen Bescheidwissen über den Zustand zu dem Nicht-Einverstanden-Sein mit den Dingen.

Weihnachtsmann, als Vorsitzender einer großen Gesellschaft, die bereits über Jahrhunderte Erfahrung im Business hat, ist dir sicherlich nicht entgangen, dass ein Fachkräftemangel bei uns, vielleicht ja sogar bei dir, besteht. Nicht nur im handwerklichen, im medizinischen oder industriellen, sondern auch im sozialen Bereich. Wie kommt es dazu?

Die Gesellschaft wird immer älter, die Geburtenzahlen stagnieren auf niedrigem Niveau, Kinder- und Familienförderung findet nur unzureichend statt… Diese Liste ließe sich rasch weiter schreiben. Das liegt aber jetzt nicht in meinem Interesse. Ich bin Lehrer, unterrichte also und daher unterrichte ich nun dich über Zustände, die aus meiner einfachen Sicht beklagenswert sind.

Junge Menschen, die auf ihren Platz im Business, vielleicht gar in deinem, vorbereitet werden sollen, durchlaufen Institutionen, die teilweise morbiden Altbaucharme versprühen, nostalgische Lehrmittel nutzen müssen und ausnahmslos unterbesetzt sind. Schuld daran ist – nun ja, das lässt sich nicht mit bestimmter Gewissheit sagen – vieles. Und dieses „Viele“ begann schon lange vor meiner Zeit. Prognosen hin, Prognosen her – obgleich hier Berechnungsmethoden für den Personalbedarf aus den 80iger Jahren verwendet werden, kann immerhin niemand behaupten, dass nicht prognostiziert wird. Wenn aber sehenden Auges auf ein Desaster zugesteuert wird, kann ja wohl nicht die Glaskugel, oder was auch immer bei den Prognosen verwendet wird, verantwortliche gemacht werden, sondern die Prognostizierenden. Ich höre oft: „Es kann doch nicht sein, dass zu wenig Lehrer ausgebildet werden. Man weiß doch, dass so und so viele Kinder geboren werden, die dann sechs Jahre später in die Schule kommen.“ = Wissen – wo bleibt der Dissens, lieber Weihnachtsmann?

Als dann ab den 2000er Jahren viele Kolleginnen und Kollegen in Teilzeit weiterarbeiteten, war, glaube ich, ein Tier, der sog. Schweinehund, so fett gefüttert worden, dass aufgrund der abnormen Ausmaße ein Überwinden und somit die zukunftsorientierte Neueinstellung von Lehrkräften schier unmöglich geworden war. Junge Referendarinnen und Referendare verließen scharenweise den Freistaat. Diese Verfahrensweise setzt sich stillschweigend fort. Noch heute gibt es in Bewerbungsgesprächen einen Duktus, der nicht erkennen lässt, dass neue Lehrkräfte gewollt sind. Sicherlich liegt das auch wiederum an der zum Zerreißen gespannten Personaldecke, obwohl es eher -deckchen heißen müsste, in den Standorten des Landesamtes für Schule und Bildung. Hierzu lautet die einhellige Meinung: „Es kann doch nicht sein, dass wir die Studenten an unseren Universitäten ausbilden, sie bei uns das Referendariat ablegen wollen und dann keinen Platz bekommen. Oder sie das Referendariat abgelegt haben und dann keinen Platz bekommen!“ = wiederum Wissen aber auch Dissens?

Die momentane Situation, lieber Weihnachtsmann, möchte ich dir nicht vorenthalten. Wenn an einer Schule zu wenig Lehrkräfte, aus welchen Gründen auch immer, sind, dann werden von anderen Schulen, die sich am besten im Umkreis befinden, Lehrkräfte abgeordnet. Gesetzeskonform – soweit ganz klar. Wichtig hierbei ist aber auch, dass es Fächer gibt, die an allen Schulen größte Mangelware sind, bspw. MINT oder Musik. Erklären sich nun Kollegen bereit, diese Fächer zu unterrichten, befinden sie sich gerade in der Qualifikationsphase oder wird ihnen der Unterricht in diesen Fächern übergeholfen, dann werden Abordnungen anderes realisiert. Dieses „Anders“ bereitet mir Sorge. Einem vorausgefüllten Formular gegenüber gestellt ein persönliches Gespräch oder ein Gespräch mit der betreffenden Fachgruppe – dadurch lässt sich ein Einverstanden-Sein mit den Dingen eher erreichen. Trotzdem besteht hier Wissen über die Zustände, doch dass diese Zustände auch dazu führen, dass der Mangel gleichmäßig an allen Schulformen verteilt wird, bleibt weitgehend ohne große Reaktion – Dissens! Damit ist eine Aufgabe, jede Klasse mit einer Lehrkraft zu versehen, zwar erfüllt, aber in welcher Qualität Unterricht – oft auch nur mittels Stundentafelkürzung – stattfindet, bleibt statistisch ohne Relevanz.

Ich wünsche mir, dass meine Kolleginnen und Kollegen in Sachsen:

  • Anerkennung erfahren und diese auch untereinander weitergeben
  • vom personalverwaltenden Überbau in ihrer komplexen Aufgabe verstanden und nicht nur als Verwaltungsmasse betrachtet werden
  • bei Problemen Überlastungsanzeigen schreiben und die Personalräte einschalten
  • Mut aufbringen, um Konsens zu suchen und damit auch Anweisungen zu hinterfragen
  • das Einzelkämpfersyndrom ablegen
  • zufrieden ihrer Berufung folgen können
  • sämtliche Anträge papierlos einreichen können und diese ebenso beschieden werden
  • Innovation nicht ruhen lassen, weil zu viel auf ihnen lastet
  • auch den Dissens aushalten und zum passenden Zeitpunkt „nein“ sagen
  • Klassenleitungsstunden angerechnet bekommen
  • vom unsäglichen Verwaltungstreiben entlastet werden
  • alle Fortbildungen bewilligt und einen Rechtsanspruch darauf bekommen
  • in ihrer pädagogischen Tätigkeit wertgeschätzt und seitens der Behörden auch bestärkt werden
  • ein landesweit einheitliches System bekommen, welches elektronisches Klassen- und Notenbuch sowie Schülerakte vereint und gleichzeitig Zugriff auf Schulportal und LernSax beinhaltet

Schließlich, lieber Weihnachtsmann, bleibt für mich auch der Weihnachtsfriede wünschenswert.

René Michel
stellv. Landesvorsitzender SLV

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