Aktuelles

Lesenswertes aus dem Postfach

Michael Jung (stellv. Landesvorsitzender des SLV) berichtet in der Neuen Sächsischen Lehrerzeitung regelmäßig aus seinem Postfach und veröffentlicht Leserbriefe. Diesen besonderen Brief der Lehramtsstudierenden der Universität Leipzig möchten wir hier veröffentlichen und euch wärmstens empfehlen.

Wir wissen aus dem Schulalltag, dass viel zu spät darüber entschieden wurde, die Einstellungskontingente und die Zahlen bei der Lehrerausbildung hochzufahren. Auch merken wir in jedem Einstellungsverfahren, dass nicht der tatsächliche Bedarf im Mittelpunkt der Studiumzulassung steht, sondern wen man für die Ausbildung zur Verfügung hat. Dabei bleibt seit Jahren unberücksichtigt, welche Fächer dringend neu besetzt werden oder welche Schularten Einstellungsvorrang haben müssen. Das bedeutet in der Praxis, wenn man schon das Glück hat, eine neue Lehrkraft zugesprochen zu bekommen, bringt sie meistens nicht die Fächer mit, die so dringend benötigt werden.

… Und nun kam dieser Leserbrief, der das Lehramtsstudium in Sachsen aus der Perspektive der Studierenden beleuchtet, aber lest doch einfach selbst!


Liebe Leserinnen und Leser, lieber Herr Jung,

wir freuen uns, dass wir an dieser Stelle die Möglichkeit bekommen, einen Leserbrief zu verfassen und diesen in der Neuen Sächsischen Lehrerzeitung zu veröffentlichen.

Wir, die diesen Leserbrief verfasst haben, sind Lehramtsstudierende höherer Semester mit verschiedenen Fächerkombinationen an der Universität Leipzig. In diesem Leserbrief möchten wir unsere Erfahrungen aus unserem sich nun dem Ende zuneigenden Studium reflektieren und auf Probleme unserer Hochschulausbildung aufmerksam machen. Es soll dabei aber nicht darum gehen, etwas per se „schlechtzureden“ oder stumpf zu kritisieren. Vielmehr möchten wir Erfahrungen und Probleme schildern, die in uns und anderen Studierenden Zweifel am Studium geweckt und bei dem einen oder anderen sogar zum Abbruch des Studiums geführt haben. Unser Ziel ist es, den Studienstandort Sachsen noch attraktiver zu machen und das Lehramtsstudium weiter zu verbessern. Denn wir alle wissen, dass der Mangel an Lehrpersonal groß ist und sich laut allgemeinen Prognosen weiter verschärfen könnte. Ein erster wichtiger Schritt zur Beseitigung dieser Problematik ist bekanntlich eine attraktive und gute Ausbildung der angehenden Lehrerinnen und Lehrer im Studium.

Im Folgenden wollen wir die aus unserer Sicht drei größten Probleme darstellen. Sie werden vielen jüngeren, aber auch älteren Lehrerinnen und Lehrern bekannt vorkommen und wahrscheinlich mit weiteren eigenen Erfahrungen in Verbindung zu bringen sein. An dieser Stelle sei zudem angemerkt, dass viele der nachfolgenden Probleme auch im Lehramtsstudium für die Oberschule und die Grundschule zu finden sind. Allerdings haben wir nur unvollständige Kenntnis über die Inhalte der jeweiligen Studiengänge, weshalb wir ausschließlich für die Hochschulausbildung für das gymnasiale Lehramt sprechen können. Es handelt sich dennoch oftmals um allgemeine Probleme, die es dringend in allen Schulformen zu verbessern gilt.

Erstes Problem: Fachwissen vor Fachdidaktik

Im Schnitt muss eine Lehramtsstudentin oder ein Lehramtsstudent für das gymnasiale Lehramt 38 Module belegen. Davon sind sieben bildungswissenschaftliche Module, circa vier Ergänzungsstudien, 19 fachwissenschaftliche Module und acht fachdidaktische Module, worunter zwei schulpraktische Übungen fallen. Das Gefälle zwischen Fachwissenschaft mit 50 Prozent und Fachdidaktik mit 24 Prozent zeigt wohl kaum deutlicher, wo die Prioritäten in der Hochschulausbildung liegen. Natürlich muss eine Lehrerin oder ein Lehrer mehr Wissen aufweisen können als ihre oder seine Schülerinnen und Schüler. In diesem Ausmaß ist es aber fern jeglicher Realität, erschwert in vielen Fachrichtungen das Studium ungemein und behindert den Prozess der didaktischen Reduktion. Der Fokus, der eigentlich auf – kurzgesagt – der Kunst des Lehrens sowie praxisorientierten Kompetenzen im Bereich Lehre und Erziehung liegen sollte, wird fälschlicherweise auf eine Anhäufung an Fachwissen gelegt.

Weiterhin wird damit die Fähigkeit zum „Bulimie-Lernen“ als das Kriterium für ein Weiterkommen im Studium gesetzt, anstatt die für Lehrerinnen und Lehrer so wichtigen Sozialkompetenzen in den Vordergrund zu stellen. Folglich geht kompetentes Lehrpersonal verloren, welches in der Lage ist, das nötige Wissen so zu vermitteln, dass es den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht wird. Hingegen wird die Ausbildung von solchen Lehrerinnen und Lehrern – besonders in den Naturwissenschaften – gefördert, die rein fachwissenschaftliche Kompetenzen mitbringen. Unter den Studierenden wird an dieser Stelle auch hin und wieder die Ausbildung zum „Fachidioten“ kritisiert. Dies mag vielleicht anstößig klingen, aber entspricht es denn nicht den wahren Gegebenheiten?

Die Frage nach der „guten“ Lehrerin oder dem „guten“ Lehrer kann bis heute nicht eindeutig beantwortet werden, doch sollten neben dem Fachwissen die Sozialkompetenz, die Fähigkeit zur didaktischen Reduktion und der Spaß am Lehren zum Werkzeug einer fähigen Lehrkraft gehören. Das Wissen ist in diesem Konstrukt nur eine der vielen wichtigen Fähigkeiten, die eine angehende Lehrkraft aus dem Studium mitbringen sollte. Eine Schwerpunktverlagerung von der Fachwissenschaft hin zur Fachdidaktik ist somit dringend gefordert.

Zweites Problem: Theorie vor Praxis

Das Fehlen von mehr praxisbezogenen Modulen stellt das zweite große Problem dar. Angeeignete Theorien in den fachdidaktischen Modulen können hauptsächlich in den wenigen Praktika, gerade einmal fünf an der Zahl, angewendet werden. Die wenigen Möglichkeiten, die in Seminaren und Übungen zur Anwendung angeboten werden, sind kaum nennenswert. Aber auch in den Praktika selbst ist aufgrund der kurzen Zeitspanne wenig Spielraum für große Anwendungsmöglichkeiten gegeben: Innerhalb von vier Wochen können die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Bedürfnisse und Lernvoraussetzungen von uns kaum kennengelernt werden, wodurch die wirkliche Theorieanwendung dort nur marginal möglich ist. Ein Praktikumssemester, wie es auch in anderen Studiengängen üblich ist, würde jede Menge Praxiserfahrungen mit sich bringen, die für das spätere Berufsleben essenziell sind. Die Europa-Universität Flensburg bietet beispielsweise diese Möglichkeit bereits an.

Dabei sollten allerdings auch eine angemessene Entschädigung und Entlastung der uns betreuenden Lehrkräfte gewährleistet werden. So könnten beispielsweise die Dozierenden der Universitäten zur Entlastung beitragen, denn die Vorbereitung und Begleitung der Praktika lässt noch zu wünschen übrig. In vielen Fachrichtungen werden die Studierenden ohne, dass sie jemals eine gute, kompetenzorientierte und realistisch durchführbare Unterrichtsplanung gesehen haben, in die Praktika mit der Aufgabe geschickt, im Praktikumsbericht eben eine solche Planung zu schreiben. Die vereinzelten, zusammenhanglosen Beispiele sind nur wenig hilfreich in diesem Lernprozess. Wie eine konkrete Umsetzung der vermittelten Theorie aussehen könnte, kann selbst von vielen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern nicht beantwortet werden. Die Schere zwischen Theorie und Praxis wird damit immer größer und stellt die angehenden Lehrerinnen und Lehrer vor eine große Herausforderung. Ein Seminar zum gemeinsamen Verfassen von Verlaufsplänen oder sogar ausführlichen Unterrichtsentwürfen ist dringend erforderlich.

Drittes Problem: Leistungsdruck und Frustration im Studium

Der Umstand, ob man Leistungsdruck oder Frustration im Studium verspürt, ist eine subjektive Wahrnehmung – das sollte an dieser Stelle angemerkt werden. Dennoch möchten wir dieses Problem benennen, denn wir können aus eigenen Erfahrungen berichten, dass Frustration und die Empfindung von Leistungsdruck von vielen Studierenden wahrgenommen werden, was zu Demotivation und in der Folge zum Abbruch des Studiums führen kann. Dementsprechend sollte dieses Problem nicht kleingeredet werden, denn jedes abgebrochene Studium ist eine Lehrkraft, die auf dem ohnehin schon von Mangel geprägten Lehrkräfte-Markt fehlt.

Nun wird der eine oder die andere sagen: „Naja gut, aber Lehrjahre sind keine Herrenjahre!“ Wir sagen dazu: Sie haben damit vollkommen Recht! Es geht uns nämlich mit der Herausstellung dieses Problems gar nicht darum, mehr Freizeit oder dergleichen zu bekommen. Allen Studierenden – auch uns – ist bekannt, dass man im Studium Leistung erbringen und auch viel Lernen muss. Der springende Punkt ist: Die beschriebene Frustration und der Leistungsdruck entspringen nicht einem per se zu überladenen Studium, sie kommen eher daher, dass vielen curricularen Entscheidungen im Studium kein tiefgreifender Sinn für den späteren Lehrberuf entnommen werden kann und sie dem Praxistest nicht wirklich standhalten.

Zwei Aspekte wurden dahingehend bereits angesprochen: Der überdimensionale Anteil an fachwissenschaftlichen Modulen sowie der Vorrang der Theorie vor der Praxis sind schwer nachvollziehbar und entbehren teilweise der Realität des Lehrberufs. Zudem ist nicht nur die Fachwissenschaft allgemein zu überproportional gewichtet, auch die darin vermittelten Inhalte gehen teilweise sehr weit über das hinaus, was wirklich in der Schule gebraucht wird.

Ein weiterer, etwas konkreterer Aspekt sind die sprachlichen Anforderungen für das Studium und das Staatsexamen. So wird für das Staatsexamen (Gymnasium) zum Beispiel in vielen Fremdsprachen, in Deutsch oder auch Geschichte ein Latinum verlangt. Unter anderem in Deutsch kann es zwar mittlerweile durch zwei moderne Fremdsprachen (C1 und B2) ersetzt werden, doch stellt diese Anforderung trotzdem eine schwer verständliche Hürde im Studium dar. Natürlich ist das Beherrschen einer Fremdsprache selten verkehrt, aber wozu als Voraussetzung für das Staatsexamen? An welchen Stellen in der Schulpraxis hilft Latein oder eine andere Fremdsprache einer Deutschlehrerin oder einem Deutschlehrer wirklich weiter? Vielmehr sollte man diese Anforderungen kippen und die freigewordenen Kapazitäten nutzen, um zum Beispiel DaZ-Module („Deutsch als Zweitsprache“) zur Pflicht zu machen. Dies wäre den Gegebenheiten der heutigen Zeit viel angemessener.

Weiterhin werden in manchen Fachrichtungen auch die Praktika benotet. Dieser Bewertung liegt allerdings nicht das Feedback durch die betreuende Lehrkraft in der Schule zugrunde, welche am besten von allen Beteiligten die Leistung der Studentin oder des Studenten im Unterricht einschätzen kann, sondern viel mehr die Fähigkeit, möglichst viel Theorie in einem umfassenden Praktikumsbericht von 50 bis zu über 100 Seiten niederzuschreiben. Es wird auch hier nur die Theorie bewertet, der reale Unterricht und die darin beobachtbaren, weiteren wichtigen Qualitäten einer angehenden Lehrkraft (Sozialkompetenzen, Auftreten, angemessene Reaktion auf Störungen) fallen weg. Dieser Umstand ist schwer nachvollziehbar. Es wäre wünschenswert, dass die Bewertung von Praktika auch auf Grundlage eines Bewertungsschreibens der betreuenden Lehrkraft der Schule erfolgt.

Auch die Struktur der Staatsexamensprüfungen stellen eine im Vergleich zu einigen anderen Bundesländern – besonders denen mit Bachelor-Master-System – überproportionale Belastung dar. Wozu bedarf es einer Staatsexamensarbeit (à la Masterarbeit) und zusätzlich mündlichen sowie schriftlichen Staatsexamensprüfungen? Würden Staatsexamensprüfungen oder eine Staatsexamensarbeit allein nicht ausreichen? Wobei anzumerken ist, dass die Aussagekraft dieser Prüfungsformen bezüglich der didaktischen und fachwissenschaftlichen Qualitäten der angehenden Lehrerin oder des angehenden Lehrers sowieso frag- und diskussionswürdig ist.

Die Liste ließe sich noch weiterführen. Die angesprochenen Aspekte sollten aber ausreichen, um die in diesem dritten Teil besprochene und dargestellte Problematik zu verdeutlichen.

Abschließend muss angemerkt werden, dass natürlich immer gemahnt und kritisiert werden kann. Kritik und Mahnung, das wissen wir alle, kann aber nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie auch von den politischen Akteurinnen und Akteuren bzw. Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern zu Kenntnis genommen wird. So hoffen wir, dass dieser Leserbrief auch von den erwähnten Stellen zur Kenntnis genommen und als Möglichkeit betrachtet wird, gemeinsam die Lehramtsausbildung weiter zu verbessern sowie den Studien- und Lernstandort Sachsen noch attraktiver zu machen!


Ich bedanke mich jedenfalls bei dem Autorenteam für diese umfangreichen und inhaltlich tiefgründigen Schilderungen und Äußerungen. Übrigens sind diese jungen Leute äußerst gespannt ob irgendwelcher Reaktionen des hier Angesprochenen.

Ich jedenfalls wünsche euch für die letzten Etappen des Studiums viel Kraft und Erfolg – und – wir warten auf genau diese neuen Lehrerinnen und Lehrer, die unsere erfolgreiche Arbeit fortsetzen können und werden!

Michael Jung

Stv. Landesvorsitzender