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Die wissenschaftliche Qualifizierung von Lehrkräften am runden Tisch

Im Sommersemester 2015 startete das sogenannte Seiteneinsteigerprogramm im Lehramt Grundschule als Pilotprojekt an der Universität Leipzig (UL). Zum kommenden Wintersemester wird nun die wissenschaftliche Ausbildung von Lehrkräften (wAL) im Rahmen des Seiteneinsteigerprogramms des Freistaats Sachsen an der UL auch für andere Schulformen und Fächer ausgeweitet. Dies gilt als ein
Baustein, dem Lehrermangel an sächsischen Schulen zu begegnen.

Aus diesem Anlass trafen sich Herr Professor Toepell, Frau Löffler sowie Herr Dr. Ronthaler zum gemeinsamen Gespräch.

Die Fragen stellte Jeannine Kunert vom ZLS Leipzig.

Frau Löffler, Sie sind als Projektleiterin an der UL für die wissenschaftliche Ausbildung von Lehrkräften, kurz wAL, verantwortlich. Können Sie uns zum Einstieg erläutern, was die Ausbildung umfasst?

S. Löffler:
Die wissenschaftliche Ausbildung ist eine berufsbegleitende Qualifizierungsmaßnahme für Lehrkräfte ohne Lehramtsqualifikation an sächsischen Grund-, Förder- und weiterführenden Schulen, sogenannte Seiteneinsteiger. Seiteneinsteiger verfügen bereits über einen akademischen Abschluss, der sie auf Grundlage der Lehrer-Qualifizierungsverordnung (QualiVO, Stand 29. Juni 2017) für den Einsatz im Schuldienst befähigt.
Die Seiteneinsteiger können sich bei der Sächsischen Bildungsagentur um die Zulassung für das Qualifizierungsprogrammbewerben und berufsbegleitend die Lehrbefähigung an den Grund- und Oberschulen oder einen Förderschwerpunkt in der Sonderpädagogik erwerben.

Herr Dr. Ronthaler Sie sind langjähriger Direktor des Zentrums für Lehrerbildung und Schulforschung und engagieren sich seit vielen Jahren innerhalb der Lehrerbildung. Welche Bedeutung hat die wAL für die UL als größte lehrerbildende Hochschule in Sachsen?

Herr Dr. Ronthaler:
Wir werden damit in erster Linie unserer Verantwortung für die Gesellschaft gerecht, den (sächsischen) Schulen gut ausgebildete Lehrer zur Verfügung zu stellen. Dies ist eine Grundaufgabe unserer Lehrerbildung, der wir hier nur auf andere Art begegnen. Weiterhin stellen wir uns damit auf einen weltweiten Trend ein, im Zuge lebenslangen Lernens auch andere als grundständige Ausbildungsformen in hoher Qualität anzubieten. Dies wird in zunehmendem Maße auch andere Studiengänge betreffen: Wir sind hier in der Lehrerbildung also Vorreiter.

Herr Professor Toepell:
Es ist in der Tat eine andere Art der Lehrerbildung. Im Bereich der Grundschule ist Voraussetzung, dass die Seiteneinsteiger ein Fach studiert haben, dass einem Grundschulfach zugeordnet werden kann. Zumeist ist das zurzeit Deutsch oder Sport. In diesen Fächern verfügen die Seiteneinsteiger durchweg bereits über praktische Lehrerfahrungen – häufig auch mit älteren Schülern oder Erwachsenen.
Damit wird deutlich, dass sie im Rahmen ihres Lehramtsstudiums keinesfalls bei null anfangen. Es gehört schlichtweg zu den gesellschaftlichen Aufgaben der Universitäten, den Fort- und Weiterbildungsprogrammen in viel stärkerem Maße als bisher gerecht zu werden.

Herr Prof. Toepell, Sie haben bereits einen intensiveren Einblick in das wAL, denn Sie haben u. a. mit Seiteneinsteigern zusammengearbeitet und im Grundschulbereich die akademische Lehre gestaltet. Was denken Sie, wie die Seiteneinsteiger die Lehrerbildung bereichern können?

Herr Professor Toepell:
Es ist erstaunlich, mit welcher Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit die Seiteneinsteiger ihr Lehramtsstudium gestalten. Sie sehen, wie wertvoll es ist, sich im Studium sowohl wissenschaftliche als auch praktische Zusammenhänge zu erarbeiten. Dies wird durch die wöchentlich dreitägige Schulpraxis unterstützt.
Wir haben bei den Seiteneinsteigern damit ein nahezu ideales Zusammenwirken von Theorie und Praxis im Studium. Dieser konkrete Praxisbezug kann die universitäre Landschaft ungemein bereichern.

Herr Dr. Ronthaler:
Sie bringen eine andere Perspektive und Kompetenz aus ihrem Erststudium und/oder beruflichen Einsatz mit, die bestenfalls unsere Studieninhalte und -formen hinterfragen und damit zu
ständig nötigen Innovationen und zu höherer Flexibilität im Lehramtsstudium beitragen können.
Sie sind auch eine produktive Herausforderung für alle, die glauben, Lehramtsausbildung ginge nur so, wie sie es gewohnt sind.

Und wie ist die Ausbildung aufgebaut?

S. Löffler:
Entsprechend ihres Hochschulabschlusses unterrichten Seiteneinsteiger drei Tage in der Woche an Schulen des Freistaates Sachsen ein Fach und stehen damit direkt in der Unterrichtspraxis.
Zwei Tage der Woche investieren die Lehrkräfte in die wissenschaftliche Ausbildung an der UL. Das berufsbegleitende Studium findet an den lehrerbildenden Instituten der UL statt – also auch dort, wo das grundständige Lehramtsstudium angesiedelt ist – alles aus einer Hand.
In der Regel umfasst die Ausbildung an der UL vier Semester, also zwei Jahre.

Können Sie uns schildern, welche Inhalte in dieser Zeitspanne vermittelt werden?

S. Löffler:
Ja, gern. Sie umfasst neben der Fachausbildung das Studium der Fachdidaktik sowie der Sprecherziehung. Nach einer Pilotierung des Seiteneinsteigerprogramms für Grundschule erwartet die UL zum Wintersemester 2017/18 weitere drei Gruppen für Grundschule.
Zusätzlich werden Gruppen für die wissenschaftliche Ausbildung in der Sonderpädagogik sowie für Englisch und Deutsch als Fremdsprache an weiterführenden Schulen immatrikuliert.
Im Sommersemester 2018 erwarten wir die Ausbildung in den naturwissenschaftlichen Fächern Physik, Chemie und Biologie. Bis 2021 werden in dieser Form voraussichtlich 300 Grundschullehrer/-innen und bis zu 500 Lehrkräfte für weiterführende, v. a. Ober- und Förderschulen, ausgebildet. Damit schafft die UL zusätzlich zur grundständigen Lehramtsausbildung auch die Voraussetzungen für die berufsbegleitende Qualifizierung der Seiteinsteiger.

Herr Prof. Toepell, auf welche Schwerpunkte haben Sie sich in Ihrer Lehre beispielsweise konzentriert und welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Herr Professor Toepell:
Ja, nehmen wir als Beispiel den Mathematikunterricht. Der Mathematikunterricht gehört bei den Grundschullehrern zum Pflichtbereich. Da die Seiteneinsteiger hier in der Regel kaum Erfahrungen besitzen, geht es hier in erster Linie darum, die fachlichen und methodisch-didaktischen Grundlagen zu erarbeiten.
Dazu gehören die Grundlagen der Elementarmathematik, die Arithmetik und ihre Didaktik, die Geometrie und ihre Didaktik sowie der Bereich der Größen und Sachaufgaben. Die Erfahrung zeigt, wie grundlegend im wAL zudem die fachübergreifenden, die persönlichkeitsbildenden und die bildungswissenschaftlich vernetzenden Bezüge sind.

Erkennen Sie Unterschiede zwischen grundständigen Lehramtsstudierenden und den Seiteneinsteigern?

Herr Professor Toepell:
Es zeigt sich, dass die Seiteneinsteiger viel klarer wissen, wofür sie studieren und welche Inhalte für sie bereichernd sind. Das ist geradezu faszinierend. Die Dozierenden fühlen sich hierdurch viel weniger als Vermittler von Wissen, sondern werden eher zu Lernbegleitern auf dem lebenslangen Weg der Persönlichkeitsentwicklung – für die Universitäten durchaus eine Herausforderung.

Für wen ist denn überhaupt das wAL an der Uni Leipzig interessant? Welchen Abschluss erreichen die Studierenden?

S. Löffler:
Die Ausbildung ist für alle Seiteneinsteiger interessant, die in ihre Zukunft als Lehrer investieren wollen. Zu bedenken gilt es jedoch, dass eine berufsbegleitende wissenschaftliche Ausbildung
hohe Ansprüche an die Studierenden und die Vereinbarkeit von Beruf und Studium sowie Familie und Freizeit stellt. Nach erfolgreicher Qualifizierung in der wAL erhalten die Studierenden im studierten Fach die Zulassung für den Vorbereitungsdienst, das sogenannte Referendariat.

Eine berufsbegleitende wissenschaftliche Qualifikation stellt nicht nur für Studierende eine besondere Herausforderung dar. Welche Herausforderungen sind für die Lehrenden im wAL zu meistern?

Herr Dr. Ronthaler:
Wie eben gesagt, muss man die Anforderung produktiv auffassen. Es macht Unterschiede, ob direkt vom Abitur kommende Studierende oder schon mehr oder weniger Erfahrene auszubilden sind – und dies in der Wissensbasis, in den Kompetenzen wie in der Persönlichkeitsstruktur. Hochschuldidaktische Fähigkeiten sind hier u. U. stärker gefragt.
Auch das sehr begrenzte Zeitbudget der Seiteneinsteiger macht innovative, eher auf Präsenzbelastung ausgelegte Lehrformen nötig. Gleichzeitig sollte man die Unterschiede auch nicht überbetonen; ein guter Teil der fachlichen wie didaktisch-psychologischen Ausbildung basiert auf Wissen, das eben adäquat vermittelt und erworben werden muss, und zwar in allen Ausbildungsformen.

Professor Toepell:
Es zeigt sich zudem bei den Seiteneinsteigern, dass die eher wissenschaftlich orientierten universitär Lehrenden viel mehr als im grundständigen Studium durch eigene Erfahrungen stets konkret verantworten müssen, wovon sie reden.
Die eng mit der Schultätigkeit verbundenen wAL-Teilnehmer erwarten neben den wissenschaftlichen Grundlagen auch klare Bezüge zur täglichen Praxis, für die die Lehrenden selbst langjährige eigene Unterrichtserfahrungen mitbringen sollten. Dann wird die Zusammenarbeit zu einem bereichernden Geben und Nehmen.

Wie werden Seiteneinsteiger an die UL integriert? Welche Schnittstellen zur „regulären“ Lehrerbildung gibt es?

Herr Dr. Ronthaler:
Die Seiteneinsteiger werden in einem Bewerbungsverfahren, das vollständig bei den SBA liegt, in das Programm aufgenommen. Die UL schreibt sie nach der Zulassung durch die SBA als ihre Studierenden ein, womit sie alle Rechte und Pflichten als Studierende erhalten. Da die Seiteneinsteiger aber i. d. R. nur zwei Tage in der Woche (Montag/Dienstag oder Donnerstag/Freitag) an der UL sein können – die anderen Tage arbeiten sie an den Schulen –, müssen wir für sie eigenständige Gruppen und Ausbildungsprogramme einrichten.
Der Aufwand wird vom Freistaat so gegenfinanziert, dass ein der grundständigen Ausbildung weitgehend vergleichbares akademisches Studium gewährleistet ist. Sollten an den Tagen, an denen die einzelnen Gruppen an der UL sind, jedoch in ihrem jeweiligen Fach Hauptvorlesungen liegen, werden wir diese für Seiteneinsteiger wie Direktstudierende nutzen. Dies ist weniger eine Frage der finanziellen Synergien als der Einbindung in traditionelle akademische Vermittlungsformen und der Vernetzung mit den anderen Studierenden.

Wie kann die Qualitätssicherung in der Lehre garantiert werden?

S. Löffler:
Für die wAL entwickelt die UL spezifische Prüfungs- und Studienordnungen auf Modulbasis, die das Studium strukturieren und in der Qualität absichern. Das Zentrum für Lehrerbildung und Schulforschung (ZLS) koordiniert die wAL. Studiengangverantwortliche und Lehrkräfte der Fächer begleiten den gesamten Prozess der wissenschaftlichen Ausbildung an den Instituten.

Welche positiven Effekte ergeben sich für die Schulen und im Kollegium?

Herr Professor Toepell:
Die Seiteneinsteiger haben durchwegs mehrjährige Berufserfahrungen außerhalb von Schule und Universität gewonnen. Diese Erfahrungen besitzen in der Regel ein beachtliches Potenzial hinsichtlich der insgesamt wünschenswerten stärkeren Vernetzung von Schule und Berufswelt. Zu dieser Bereicherung tragen – auch in den Kollegien – insbesondere die Seiteneinsteiger bei. Ein nicht zu unterschätzender Mehrwert!

Wie sehen Sie das, Herr Dr. Ronthaler? Welchen Mehrwert erkennen Sie in den Seiteneinsteigern für die sächsische Schullandschaft?

Herr Dr. Ronthaler:
Wie oben angedeutet und von Herrn Professor Toepell auch schon dargestellt, bringen die Seiteneinsteiger ein anderes Wissen, Professionsverständnis und andere Praxiserfahrungen an die sächsischen Schulen. Da sie oft auch aus wirtschaftlichen Bereichen kommen, übertragen sie die dort geltenden Leistungsanforderungen auf die Schulsituation und können damit Schüler gut auf eine zukünftige gesellschaftliche Realität vorbereiten.

Zu guter Letzt die Frage: Was ist das Besondere an der Qualifizierung von Seiteneinsteiger an der UL?

S. Löffler:
Alleinstellungsmerkmal für die wissenschaftliche Ausbildung in Leipzig ist die sehr enge Verzahnung mit der grundständigen Lehramtsausbildung an der UL. Studierende des Seiteneinsteigerprogramms
profitieren von den langjährigen Erfahrungen der größten lehrerbildenden Hochschule in Sachsen.

Ansprechpartner zu Bewerbung und Zulassung für das Seiteneinsteigerprogramm:
Koordinatoren für die Seiteneinsteiger/-innen in den Regionalstellen der Sächsischen Bildungsagentur
Kontaktdaten: www.lehrerbildung.sachsen.de

Ansprechpartner am Zentrum für Lehrerbildung und Schulforschung der Universität Leipzig:
Susan Löffler
Projektleitung der wissenschaftlichen Ausbildung von Lehrkräften (wAL)
E-Mail: susan.loeffler@uni-leipzig.de
Telefon: 0341/97-30491

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