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„Bin ich dafür ausgebildet genug?“

Ein zentrales Thema der Qualitätsoffensive Lehrerbildung von Bund und Ländern, in deren Rahmen das Maßnahmenpaket TUD-Sylber an der TU Dresden gefördert wird, sind die Vielfalt der Schülerschaft und die Vorbereitung der Lehrkräfte auf einen inklusiven Umgang mit dieser Vielfalt. Mit einer besonderen Form heterogener Lerngruppen – dem jahrgangsgemischten Unterricht – beschäftigt sich das TUD-Sylber Einzelvorhaben „Gemeinsames Lernen im jahrgangsgemischten Grundschulmathematikunterricht“ (JAMU).

Ausgehend von der demografischen Situation, dass in den letzten Jahren im ländlichen Raum in Sachsen einige kleine Grundschulen jahrgangsgemischten Unterricht einführten, um ihre Schule trotz rückläufiger Schülerzahlen zu erhalten, hat sich TUD-Sylber zum Ziel gesetzt, angehende Mathematiklehrkräfte auf ein Unterrichten in jahrgangsgemischten Lerngruppen vorzubereiten. Hierfür wurden zunächst Einstellungen und Erfahrungen Studierender mit jahrgangsgemischtem Unterricht erhoben und anschließend unter Berücksichtung der Befragungsergebnisse Lehrveranstaltungen konzipiert und erprobt. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die Ausgangslage der Studierenden gegeben. Anschließend werden zwei Konzeptionen für Lehrveranstaltungen darlegt und reflektiert.

Befragung der Lehramtsstudierenden

Im April 2017 wurden alle Studierenden in Lehrveranstaltungen der Grundschulpädagogik Mathematik (n=273) mithilfe eines Fragebogens zu ihren Einstellungen und Erfahrungen mit jahrgangsgemischtem Unterricht befragt. Es stellte sich heraus, dass für 52 Prozent der Studierenden die Stärken von jahrgangsgemischtem Unterricht, wie die Kooperation der Schüler/-innen untereinander, die Nachteile, wie der höhere zeitliche Aufwand für die Lehrperson, aufwiegen. Für 34 Prozent der Befragten überwiegen weder Vor- noch Nachteile. Wie jedoch das Studierendenzitat „Bin ich dafür ausgebildet genug?“ verdeutlicht, zweifeln Studierende häufig daran, dass sie ausreichend auf ein Unterrichten in jahrgangsgemischten Klassen vorbereitet sind. 86 Prozent der befragten Studierenden fühlen sich nicht ausreichend vorbereitet und 79 Prozent geben an, bisher keine Erfahrung mit jahrgangsgemischtem Unterricht gemacht zu haben. Dennoch würden insgesamt 84 Prozent einen Referendariatsplatz in einer jahrgangsgemischten Klasse annehmen.

Als Gründe hierfür gaben 97 Prozent an, dass sie diese Unterrichtsform gerne kennenlernen würden – auch weil dies zunächst nur den begrenzten Zeitraum des Referendariats betreffen würde. Etwa 62 Prozent würden sich für einen Referendariatsplatz in einer jahrgangsgemischten Klasse entscheiden, weil sie vom Konzept der Jahrgangsmischung überzeugt sind. Die wenigen Studierenden, die das Referendariat nicht an einer Schule mit jahrgangsgemischtem Unterricht absolvieren würden, führen als Begründung die fehlende Erfahrung mit dieser Unterrichtsform sowie den erwarteten hohen zeitlichen Aufwand an. Die Befunde sprechen für eine verbreitete Offenheit unter den Studierenden, neue, andere Unterrichtskonzepte kennenzulernen. Zudem ist davon auszugehen, dass sich die Bereitschaft zum jahrgangsgemischten Unterricht steigern lässt, wenn die Studierenden bereits im Laufe des Studiums erste Erfahrungen damit machen.

Vorbereitung im Rahmen der Lehramtsausbildung

Um Lehramtsstudierende auf ein mögliches Unterrichten in jahrgangsgemischten Lerngruppen beziehungsweise ganz allgemein auf das Unterrichten in heterogenen Lerngruppen vorzubereiten, finden seit dem Wintersemester 2017/18 Lehrveranstaltungen zum Thema „Heterogenität im (Mathematik-)Unterricht: Schwerpunkt Jahrgangsmischung“ statt. Da die Studierenden in den Fragebögen häufig auf ihre mangelnde Erfahrung mit jahrgangsgemischtem Unterricht hinweisen, findet im Seminar bewusst eine Verzahnung von Theorie und Praxiserfahrungen statt, um die Studierenden für Heterogenität allgemein zu sensibilisieren und ihnen Einblicke in unterschiedliche didaktische Konzepte zu ermöglichen. Hierfür wurden zwei unterschiedliche Seminarkonzeptionen entwickelt und erprobt, die im Folgenden dargestellt werden.

Generell erhalten die Studierenden im Rahmen des Seminars zunächst Inputs zu thematischen Grundlagen, wie dem Umgang mit Heterogenität im Allgemeinen, natürliche Differenzierung und Jahrgangsmischung. Daran anschließend erfolgen Hospitationen in Schulen, die jahrgangsgemischt unterrichten und für eine Kooperation mit TUD-Sylber gewonnen werden konnten.
In der Seminarkonzeption 1 (erstmals erprobt im Wintersemester 2017/18) folgten im Anschluss an die Hospitationen weitere kurze Impulse zu Themen wie Kooperation und Rolle der Lehrperson. Das zentrale Element des Seminars war jedoch die Entwicklung von reichhaltigen Aufgaben (substanziellen Lernumgebungen), die gemeinsame Lernsituationen von Kindern unterschiedlicher Jahrgänge ermöglichen sollen. Die Studierenden entwickelten diese gemeinsam im Seminar und erprobten sie anschließend in den jeweiligen Schulen im Team-Teaching. Die Erprobungen wurde im Seminar beziehungsweise im Rahmen von Hausarbeiten reflektiert (Abbildung 1).

Abbildung 1

Im Sommersemester 2018 wurde die Seminarkonzeption angepasst, um die theoretischen Grundlagen vertieft aufzuarbeiten, da einige entwickelte Aufgaben im ersten Durchlauf nicht ideal für jahrgangsgemischten Unterricht geplant worden waren. Zudem mussten organisatorische Rahmenbedingungen, wie die zeitliche Begrenzung des Schuljahres, in der Seminarplanung berücksichtigt werden. Weiterhin fanden Grundlagensitzungen sowie Hospitationen in Schulen statt. Jedoch setzten sich die Studierenden im Rahmen von Referaten auf theoretischer Ebene intensiver mit einzelnen Aspekten auseinander und entwickelten auf dieser Grundlage jeweils praktische Umsetzungsmöglichkeiten. Erprobungen fanden im Anschluss an die Vorlesungszeit im Rahmen einzelner Hausarbeiten statt (Abbildung 2).

Abbildung 2

Im Vergleich dieser unterschiedlich aufgebauten Seminare konnte festgestellt werden, dass der Fokus auf praktischen Erprobungen von den Studierenden erwünscht und auch geschätzt wurde. Im knappen Rahmen des Seminars können jedoch nur erste Einblicke in die Arbeit in jahrgangsgemischten Klassen gegeben werden, die Studierende nur in Ansätzen auf ein Unterrichten in jahrgangsgemischten Lerngruppen vorbereiten. Im zweiten Seminar war trotz des stärkeren Fokus auf theoretische Konzeptionen in der Reflexion des Seminars deutlich erkennbar, dass die Studierenden sich durch die Inhalte des Seminars mehr als zuvor vorstellen konnten, in einer jahrgangsgemischten Gruppe zu unterrichten.

Generell konnten die Seminare den Studierenden einen ersten Einblick in die mögliche Arbeit in einer jahrgangsgemischten Klasse bieten und für die Thematik sensibilisieren. Dies zeigt sich auch darin, dass das Interesse an Staatsexamensarbeiten zum Thema jahrgangsgemischter Unterricht im Zuge der Seminare deutlich anstieg. Generell können die Seminarkonzeptionen über das Thema Jahrgangsmischung hinaus Ideen liefern, wie Studierende durch die Verknüpfung von Theorie und Praxis für einen Umgang mit heterogenen Lerngruppen sensibilisiert und befähigt werden können. Darüber hinaus profitierten teilweise auch Lehrpersonen an den Schulen von der Kooperation und den Erprobungen der Studierenden. So bietet diese Art der Lehrveranstaltung generell die Möglichkeit, die erste und dritte Phase der Lehrerbildung stärker zu verknüpfen.

Über die Projektlaufzeit von TUD-Sylber hinaus arbeiten Prof. Dr. Marcus Schütte (Projektleitung) und Rachel-Ann Friesen in Kooperation mit Prof. Dr. Beat Wälti (PH Bern) aktuell an einer Aufgabensammlung in Form einer Buchveröffentlichung, in der verschiedene kooperative Aufgaben für jahrgangsgemischte Lerngruppen (schwerpunktmäßig 4. – 6. Klasse) vorgestellt werden. Diese Aufgaben werden aktuell auch im Rahmen eines mathematischen Förder- und Forderprojekts „MaJa – Mathematiklernen in Jahrgangsmischung“ an der TU Dresden erprobt.

Der Artikel wurde von Rachel-Ann Friesen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Grundschulpädagogik/Mathematik, und Peter Ludes-Adamy, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Grundschulpädagogik/Mathematik, verfasst.